11. März 2020 - Im niedersächsischen Jesteburg versteckt sich eines der bedeutendsten Gesamtkunstwerke Deutschlands: Die ehemalige Wohn- und Arbeitsstätte des Künstlerpaars Johann Bossard und Jutta Bossard-Krull.

Geschaffen im Wesentlichen zwischen 1911 und 1950 ist das drei Hektar große und extrem differenziert ausgestaltete Ensemble aus Architektur, Bildhauerei, Kunstgewerbe, Malerei und Gartenkunst bis heute im ursprünglichen Zusammenhang erhalten und als Denkmal ausgewiesen. Seit 1995 in eine Stiftung überführt, dient die Kunststätte nun als Museum. Im Frühjahr 2020 ist eine Kontroverse um den zukünftigen Umgang mit diesem Ausnahmeobjekt entflammt.

Eindrucksvoll belegte die voll besetzte Aula der Jesteburger Oberschule am 24. Februar 2020, dass die kaum zu überschätzende kunsthistorische Bedeutung der Kunststätte auch von der Einwohnerschaft der Region gewürdigt wird. Kunststättenleiterin Dr. Gudula Mayr, verstärkt durch Prof. Dr. Rolf Wiese sowie Rainer Rempe, Landrat im Landkreis Harburg und Vorsitzender des Stiftungsrats Kunststätte Bossard in Personalunion, hatte zu einer Informationsveranstaltung eingeladen, um den geplanten Ausbau des Museums öffentlich zu erläutern und zu diskutieren. Angesichts der stark divergierenden Äußerungen in der Lokalpresse wäre eine konfrontative Atmosphäre zu erwarten gewesen. Doch diese blieb weitgehend aus, nicht zuletzt dank einer charmant-professionellen Moderation. 

Die Veranstalter erläuterten die Einzigartigkeit der Anlage, den museumspädagogischen Bedarf an einer baulichen Erweiterung, verwiesen auf die Einmaligkeit der in Aussicht gestellten Förderung durch den Bund in Höhe von 5,38 Millionen Euro sowie den zu erwartenden finanziellen Nutzen für die Region und ließen sich die grundsätzliche Vereinbarkeit mit den Zielen der Raumordnung versichern. Rolf Wiese erwähnte seine persönliche Bekanntschaft mit Jutta Bossard-Krull; Gudula Mayr suchte durch eigene Beobachtungen Bedenken zu zerstreuen, deutlich mehr Gäste könnten die Abgeschiedenheit des Ortes nachteilig verändern und punktete mit dem Beleg, dass Bossards selbst eine Erweiterung der Kunststätte deutlich über das zu ihren Lebzeiten Realisierte hinaus ins Auge gefasst hatten. Aus der Humboldt-Universität zu Berlin wurde die Einschätzung beigesteuert, Bossards hätten eine Erweiterung Ihres Lebenswerks sicher begrüßt und heute auch anders gebaut als in ihrer Zeit. Das in Aussicht genommene Erweiterungsareal sei, so Wiese, als ehemalige Kiesabbaustätte und privater Entsorgungsplatz nie von zentraler Bedeutung gewesen. Zudem sei die Gestalt des projektierten Neubaus noch offen und ein hochbaulicher Wettbewerb würde mit der Beteiligung der Denkmalpflege die Verträglichkeit mit der Kunststätte sicherstellen: Bei so viel Einigkeit unter den Fachleuten musste es beinahe verwundern, dass Rainer Rempe betonte, nur mit einer breiten Mehrheit im Rücken das Erweiterungsprojekt auf den Weg bringen zu wollen.

Erwartungsgemäß wurden aus dem Auditorium auch Bedenken gegen die Erweiterungspläne geäußert, und dabei fielen durchaus die richtigen Stichworte: Die zu erhaltende Zurückgezogenheit als ein bestimmendes Merkmal der Kunststätte und zu erwartende optische Beeinträchtigungen, eine wohl schwierig zu ertüchtigende Verkehrsanbindung und mit dem Bau verbundene Eingriffe in Natur und Landschaftsbild sowie die Frage nach möglichen Alternativstandorten. 

Der hier ebenfalls zentrale Begriff der Authentizität aber fiel nicht. Dies dürfte nicht zufällig sein, denn Vertreter des hier so wichtigen Denkmalschutzes waren offenbar nicht zu eigenen Statements eingeladen worden. Dass Bossards gerne weitergebaut und sich mehr Publikum gewünscht hätten, dass das Areal nicht in ihrem künstlerischen Fokus gelegen hat – das mag alles so sein. Doch was tut’s? Vorrangiges Ziel der Denkmalpflege ist der Erhalt eines Denkmals, nicht seine Weiterentwicklung und schon gar nicht seine „Verbesserung“, nicht einmal dann, wenn dies im Interesse des Anlagenschöpfers gelegen hätte. Denn Denkmalpflege geht es vorrangig darum, einen Ort und seine Geschichte authentisch, „echt“ zu erhalten, damit er durch sich selbst wirken kann. Genau dies ist hier – die Veranstalter haben dies zu Recht hervorgehoben – in erstaunlich reiner Form bis heute gelungen. So wurde die Kunststätte 2012 mit dem „Europa-Nostra-Preis“ für Restaurierung und Erhaltung ausgezeichnet. Doch „das Dokument Künstlergarten wird nicht wahrer, wenn wir es ergänzen“, mahnt ein Autor in den Schriften der Kunststätte Bossard (Band 4, 2005, S. 104) auch mit Blick auf die Jesteburger Kunststätte. Wäre es nicht auch ein Verlust, wenn bei Führungen durch das Areal zukünftig der Satz fallen müsste: „Hier müssen Sie sich vorstellen, dass der Ort früher total abgeschieden war, sozusagen mitten im Nirgendwo, ohne Besucherzentrum und natürlich ohne Stellplätze…“? 

Eigentlich müsste die Tatsache, dass ein Denkmal gleichzeitig ein öffentliches Museum ist, ein Vorteil zu seinem Erhalt sein. In vielen Denkmalensembles wäre diese Lösung seitens der Denkmalpflege auch sehr erwünscht. Hier jedoch konkurriert der authentische Erhalt des Denkmals plötzlich mit den sehr nachvollziehbaren Wünschen nach adäquater pädagogischer Vermittlung vor Ort, die ein Museum nun mal befriedigen muss und die die Kunststätte Bossard allemal verdient hat.

Dagegen ist es vor allem im Fall von Ensembles aus Architektur und Gartenkunst nicht selten, dass Belange des Naturschutzes gegen diejenigen der Denkmalpflege abgewogen werden müssen. Hier nun könnte der Naturschutz zum wohl wichtigsten Verbündeten des Denkmalschutzes werden, da er die weitgehend ungestört landschaftliche Umgebung des Denkmals bewahren will.

Dass eine Museumsleitung, vor Ort tätige Museumspädagoginnen, Tourismusmanager, „Museumsmacher“ sowie Politikerinnen und Politiker großes Interesse daran haben, die nun erreichbaren Fördermittel auch umzusetzen, um dem Ort größere Strahlkraft zu verleihen, ist verständlich. Schließlich sind sie es, die täglich mit den Schwierigkeiten umgehen müssen, die auch ein so wunderbarer Ort wie die Kunststätte Bossard bereithält. Doch gerade angesichts der Schwierigkeiten in der Abwägung bei einer so überaus bedeutenden Anlage sollten sie besondere Sorgfalt walten lassen. Dazu gehört, bei Informationsveranstaltungen auch Institutionen und Experten als Sprecherinnen und Sprecher um Einschätzungen zu bitten, die dem Vorhaben kritisch gegenüberstehen und dabei fachlich auf Augenhöhe diskutieren können. 

Zudem kann es in der Abwägung zwischen Denkmalschutz und Kulturvermittlung nicht automatisch heißen: alles oder nichts. Und daher waren auch in der Diskussion neu aufgeworfene Fragen sehr berechtigt: Wie wäre die bei einem Neubau nicht zu vermeidenden Beeinträchtigung der Kunststätte zu minimieren? Welche bauliche Dimension wird tatsächlich benötigt, um dem musealen Auftrag gerecht zu werden? Wäre etwa auch ein vollständig unterirdisch errichteter Neubau in der Lage, das nötige Raumprogramm zu gewährleisten? Warum wird ein Alternativstandort kategorisch abgelehnt? 

Die bisherigen Bemühungen um eine Stärkung der Kunststätte waren verdienstvoll. Und die Aufmerksamkeit, die die Kunststätte im Zusammenhang mit der geplanten Erweiterung erfahren hat, ist schon ein Gewinn, die erhöhten Zuschüsse für den laufenden Betrieb sind ein weiterer. Nun wird dafür geworben, Bossard als zukunftsorientierte Fortentwicklung neu zu denken. Ja, bedenkenswert. Aber wo und in welchem Ausmaß braucht die Kunststätte dies? Eine „Kunsthalle der Lüneburger Heide“ auf dem Areal des Denkmals dürfte über den primären Museumsauftrag – Vermittlung des Gesamtkunstwerks Bossard – hinausschießen und dieses womöglich ernsthaft beeinträchtigen. 

Die Zukunft wird zeigen, ob alle – Befürworter und Bedenkenträger - nicht nur rhetorisch, sondern auch tatsächlich bereit sind, bereits formulierte Ideen und Dimensionen wieder in Frage zu stellen, um insbesondere Denkmalerhalt und Kulturvermittlung verantwortlich und fachlich fundiert gegeneinander abzuwägen und Eingriffe in das Denkmal zu vermeiden bzw. zu minimieren. Nicht zuletzt ist auch die Bewohnerschaft der Region auf diesem Weg ernsthaft zu beteiligen – und sei es durch ein Handzeichenvotum am Ende einer Diskussionsveranstaltung.

Für die Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur,
Landesverband Hamburg/Schleswig-Holstein e.V.
Dr. Joachim Schnitter

Der Regionalbeauftragte für Niedersachsen der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e.V.
Andreas von Hoeren