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Kilometerweite Sicht und viele Geschichten rund um das Flughafenrelikt
„Das Feld ist der neue Berliner Stadtpark, das wilde weite Land im Stadtgrundriss, wo man sich und die Stadt hinter sich lassen kann.“ Rolf Lautenschläger, Kulturredakteur bei der „taz.die tageszeitung“ in Berlin, beschreibt in einem kompakten und dabei inhaltsschweren Buch das Tempelhofer Feld als Raumlabor und außergewöhnlichen Park. Zusammen mit den Fotografien von Wolfgang Fritsche und Paul Langrock zeichnet er ein Bild des städtebaulichen Unikums, das man nur vor der Lektüre des Buches zu kennen glaubt.

In keiner anderen Hauptstadt des Kontinents wäre es wahrscheinlich, dass eine unbebaute Fläche dieser Größenordnung, bei allen politischen Querelen, dann doch ganz relaxt von den Bürgern in Beschlag genommen wird. Das heißt, die Freiflächen, nicht die Gebäude. Ein Vergleich mit dem Kopenhagener Freistaat Christiania, bietet sich nicht an. Ein andauerndes autonomes Sozialexperiment wie auf dem aufgelassenen Militärgelände in urbaner Bestlage Kopenhagens bahnt sich nicht an, vielleicht auch, weil Berlin viele Kieze mit weit gefassten Möglichkeiten der Selbsterfahrung bietet.

Auf den Weiten des Tempelhofer Feldes geht es um Freizeit und Raumerfahrung, wobein das Wort alternativ sehr strapaziert wird. Auf den kilometerlangen Landebahnen kann man die Erdkrümmung am Horizont erahnen während über einem die Feldlerche trillert. Es gibt eine Dissertation von Jennifer Bell über die „Ästhetische Wahrnehmung des Tempelhofer Feldes“, worin die räumlich-visuellen Vorzüge des freien Raumes ausgelotet werden. Lautenschläger erzählt in einem Kapitel die nicht so geläufige 800jährige Geschichte des Feldes, das somit älter ist als Berlin selbst. Er schlägt den Bogen vom Tempelritter-Orden über die Industrialisierung – AEG,  Siemens & Halske  – zur Beschlagnahme durch das preußische Militär und schließlich die ersten Anfänge eines Flugplatzes. Ab 1884 wurde mit Fesselballons und Flugmaschinen experimentiert, Zeppeline landeten und 1926 wurde hier die Deutsche Lufthansa gegründet. „ Kaum dass 1923 der Standort als zentraler Flughafen Berlins sich zum Sinnbild der modernen Mobilität in der dynamischen Reichshauptstadt aufgeschwungen hatte, restaurierten ab 1933 die Nazis das Feld wieder propagandistisch zum Aufmarschgelände.“ Nicht wenige sind noch heute dem Mythos Tempelhof verfallen, dem Ruf des gigantischen Flughafen-Bauwerks, mit dem der Architekt Ernst Sagebiel nationalsozialistische Ideologie in Architektursprache übersetzte. Dass hinter der Muschelkalk-Fassade viel Rohbau geblieben ist, beschreibt Rolf Lautenschlager anschaulich, ebenso die Geschichte des Feldes als Rüstungsfabrik und Zwangsarbeiterlager.

Viele der kurzen Geschichten beschäftigen sich mit der Nachbarschaft des Tempelhofer Feldes. Die Geschichte des Taut-Block, der Keksfabrik oder des UFA-Ateliers wird lebendig. Es wird deutlich, dass der große freie Raum, im Laufe der Jahre von fast 600 Hektar auf unter 400 Hektar geschrumpft, nur im Kontext mit der, zum Teil sehr dicht, bebauten Umgebung  seine Bedeutung erlangt. Der Autor beschreibt, wie das freie Feld im 19. Jahrhundert zum Ort des Pläsiers geworden ist, mit Freizeitvergnügen die sich gar nicht so stark von den heutigen unterscheiden. Am Ende des Buches wagt Lautenschlager eine Prognose. „Das Tempelhofer Feld bleibt das, was es ist: sich selbst ein freier Raum.“

Robert Schäfer, Chefredakteur Garten+Landschaft, Oktober 2014

Rolf Lautenschläger: Das Tempelhofer Feld.
Fotos von Wolfgang Fritsche und Paul Langrock.
L&H Verlag Berlin, 2014