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Harri Günther im Jahr 2013 im Garten Liebermann, Foto: Angela Pfennig
Harri Günther im Jahr 2013 im Garten Liebermann, Foto: Angela Pfennig

Gartendirektor Harri Günther (1928-2023) - Ein Nachruf

Dr. Harri Günther, der Nestor der Gartendenkmalpflege in der DDR, ist im Alter von 94 Jahren in Potsdam gestorben. Das Fachgebiet verliert mit ihm einen seiner Begründer. 

Harri Günther wurde am 1. Dezember 1928 im vogtländischen Reichenbach geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in Dessau, dessen reiche Garten- und Kulturgeschichte ihm zeitlebens besonders nahe lag. 

Nach einer Gärtnerlehre ab 1948 wollte er ursprünglich Forstwirt werden, bekam jedoch keine Studienzulassung, weil er kein „Arbeiterkind“ war; sein Vater war Industriekaufmann in der Flugzeugindustrie gewesen. Sowohl für Pflanzen als auch für die Gartengeschichte besaß er bereits ein ausgeprägtes Interesse. Schließlich erhielt er einen der wenigen Studienplätze am Institut für Garten- und Landeskultur der Humboldt-Universität Berlin, das unter der Leitung von Professor Georg Pniower stand. Vorlesungen der Professoren Willy Kurth und Wolfgang Sörrensen zur Geschichte der Gartenkunst vertieften Harri Günthers bereits vorhandene Neigung zu historischen Gärten. In den wortgewaltigen Darstellungen Kurths habe er „das Sehen gelernt“, bekannte er später. Er blieb von 1955 bis 1959 als Assistent am Institut Pniowers, gemeinsam mit Dieter Hennebo, der wenig später in der BRD das Fachgebiet prägen sollte. Die gemeinsame Herkunft ist wohl kein Zufall: Am Institut Pniowers herrschte ein offenes, zudem der Gartenkunstgeschichte zugewandtes Klima. Mit Hennebo verband Harri Günther eine lebenslange Freundschaft – wie zu vielen anderen Protagonisten unseres Fachgebietes in Ost und West.

Nach dem Abschluss seiner Dissertation über das „Verhalten von Gehölzen unter großstädtischen Bedingungen“ übernahm Harri Günther im Jahr 1959 die Stelle des Gartendirektors in Potsdam-Sanssouci. Gerade einmal 31jährig, ging er mit großem Mut und Selbstvertrauen an die Aufgabe, die über viele Jahre vernachlässigten oder schöpferisch überformten Gartenanlagen „in steten, aber leisen Eingriffen“, wie er selbst sagte, zu erhalten und wiederherzustellen. Seine Vorgänger Georg Potente und Rudolf Hörold und deren Arbeit bis 1939 bezeichnete er als „Meßlatte seines Tuns“; daneben habe ihm Gartendirektor Hermann Schüttauf aus Dresden mit „leisen Hilfen“ zur Seite gestanden. 

Eine der ersten Maßnahmen war die Fällung der Reste der Lindenallee vom Grünen Gitter zu den Terrassen von Sanssouci, die Aufbereitung des Bodens durch Lupineneinsaat und schließlich die komplette Neupflanzung der Allee mit geschnittenen Rosskastanien, wie wir sie heute kennen. In einem langen, unvergesslichen Gespräch vor 22 Jahren erinnerte er sich an die Anfänge: „Ich stand vor einem Chaos … Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich nie nach Sanssouci gegangen.“ So musste er manche gärtnerische Entscheidung seines betagten Protegés Willy Kurth, der bis dahin die Leitung der Schlösser und Gärten in Personalunion innehatte, rückgängig machen. 

Die Rückführung der Partie vor der Neptungrotte im Jahr 1967 war ein erstes komplexeres Wiederherstellungsvorhaben seiner Amtszeit. Er etablierte den bis dahin keineswegs üblichen Grundsatz, dass „gründliche Vorarbeit“ vor jeglichem Eingriff notwendig sei; in Potsdam sprach man von einem Vorlauf von zwei Jahren Forschung und Planung, ehe man an die Realisierung ging. 

Im besten denkmalpflegerischen Sinne stand für Harri Günther die Bestandssicherung stets im Vordergrund. „Die alltägliche Pflege ist die größte Kunst.“, formulierte er im Jahr 2001, um mit Blick auf Wiederherstellungen anzufügen: „Ich habe immer nur das anlegen lassen, was hinterher auch zu pflegen war.“ Nachlassende Pflegekapazitäten verhinderten aufwändigere Wiederherstellungsmaßnahmen. Dennoch gelangen unter seiner Leitung umfassende, Aufsehen erregende Restaurierungsvorhaben wie im Marlygarten und auf der oberen Orangerieterrasse von Sanssouci im Jahr 1972, im Pleasureground am Schloss Babelsberg ab 1974, in den Gärten an Schloss Cecilienhof oder im Park Lindstedt ab 1983. Internationale Beachtung fand die aufwändige Restaurierung der Weinbergterrassen von Sanssouci von 1978 bis 1982. Legendär sind seine subversiven Unterwanderungen der Berliner Mauer, die durch mehrere der ihm anvertrauten Gärten verlief, etwa durch Sichtachsen oder die provokante Etablierung schöner Gärten im Angesicht der Grenzanlagen.

Harri Günthers gartendenkmalpflegerischer Grundsatz bei allen Vorhaben war stets: „Die Hauptsache ist der Gehölzbestand.“ Alles andere, wofür in der DDR vielfach die baulichen Kapazitäten fehlten, würde man später nachbessern können. 

Harri Günther sind bahnbrechende Leistungen bei der Durchsetzung unserer heutigen Auffassungen in der Gartendenkmalpflege zuzuschreiben. Vordergründig praktisch tätig, finden sich seine methodischen Auffassungen in Publikationen und Vorträgen, so in seiner Rede anlässlich der Verleihung des Sckell-Ehrenringes im Juli 1989 in München. Er wandte sich dort gegen dogmatische Auffassungen in der Gartendenkmalpflege und die Berufung auf die „Gesetzmäßigkeit des Planes“, der „doch das Werden und Vergehen nicht dokumentiert“. Insbesondere der Landschaftsgarten sei „etwas Werdendes“, über das man „viel grübeln und immer wieder sehen muß“. In den von Lenné geprägten Partien der Potsdamer Parks hatte er versucht, den denkmalpflegerisch „richtigen“ Zustand zu ermitteln und wiederherzustellen. „Das muss nicht immer ganz genau gestimmt haben,“ resümierte er in unserem Gespräch, um mit der ihm eigenen Vehemenz zu ergänzen, „weil man es eben nicht genau machen kann.“

Bahnbrechend war für diese Erkenntnisse die behutsame Wiederherstellung der Raumsituationen und langen Blickbeziehungen im Park Charlottenhof. Harri Günther bediente sich hier als einer der Ersten systematisch der Methode der Planüberlagerung. Bereits 1963 hatte er die Lenné-Pläne dafür aufwändig in einen metrischen Maßstab kopieren lassen. Gepaart mit der unablässigen Ortsbegehung zu allen Tages- und Jahreszeiten („Was ich diese Wiesen entlanggelaufen bin!“) wurde abgewogen und freigeschlagen, aber auch in großem Umfang nachgepflanzt. Größeren Gruppen wurden Ammengehölze beigegeben, die nach einigen Jahren entfernt werden sollten. Die heute erlebbaren Raumsituationen im Park Charlottenhof gehen nicht zuletzt auf diese Pionierarbeit Harri Günthers und seiner Mitarbeiter zurück. 

Bei aller Genauigkeit in der denkmalpflegerischen Analyse und Bewertung, für die Harri Günther beharrlich eintrat, war für ihn der Umgang mit historischen Gärten – und unter ihnen besonders den Landschaftsgärten – immer noch eines geblieben: eine Kunst. „Ein Garten“, so lautete einer seiner unsterblichen Leitsätze, „hat in erster Linie schön zu sein.“ Keineswegs meinte er damit das schöpferische Weiterdenken eines Denkmals, sondern das intensive Einfühlen und Hineindenken in eine historische Gestaltungsidee, das Sehen und Verstehen über die spröden Quellen hinaus. 

Nach intensiver Beschäftigung hatte er dabei etwa die Erkenntnis gewonnen, dass im Landschaftsgarten häufig bewusst zu dicht gepflanzt worden war; nach etwa 30 Jahren habe man Schnittmaßnahmen eingeplant. „Es wurde im Landschaftsgarten mehr geschnitten als im Barockgarten, auch mühsamer und einfühlsamer.“ Harri Günther hatte sich diesen Schnitt „von den letzten Erfahrenen“, darunter Hermann Schüttauf, noch erklären lassen und setzte ihn um. 

Als Pflanzenkenner – unübertroffen sein dendrologischer Führer des Parks von Sanssouci – lagen ihm die biologischen Aspekte der Gärten besonders am Herzen. Frühzeitig machte er auf notwendige Anpassungen an veränderte ökologische und klimatische, aber auch räumliche Verhältnisse aufmerksam: „Es muß in den historischen Gärten zu einer verständnisvollen Abstimmung zwischen dem gartendenkmalpflegerischen Ziel und der biologischen Möglichkeit kommen.“ So vertrat er die Ansicht, dass bestimmte Baumarten infolge der Bodenmüdigkeit nicht in der gleichen Art nachgepflanzt werden dürften.

Zudem sprach er bereits von der Vielschichtigkeit der Gartendenkmale, als noch vielfach die Wiederherstellung eines Zustandes angestrebt wurde: „Vielmehr bezieht sich unser ganzes Tun auf die Erhaltung des gewachsenen Zustandes an Gartenteilen verschiedensten Alters“, sagte er 1989.

Sein Wirkungsradius reichte weit über die Tore Sanssoucis hinaus. Er verfasste Gutachten und beriet in den Parks und Anlagen von Weimar, Dessau-Wörlitz, Ballenstedt und in manchem kleineren Gutspark. In den 1960er Jahren gab er Vorlesungen zur Geschichte der Gartenkunst an der Humboldt-Universität und prägte so eine Generation von Landschaftsarchitekten. Er hielt zahllose Vorträge, und seine Publikationsliste umfasst mindestens 120 Positionen. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Bücher und Beiträge über Peter Joseph Lenné, dessen Schaffen Harri Günther zeitlebens beschäftigte. Gäste aus aller Welt führte er durch „seine“ Anlagen. Von 1969 bis 1974 bis war er Vorsitzender des „Zentralen Parkaktivs“ des Kulturbundes, mit profunden Tagungen und Parkseminaren eine Keimzelle des entstehenden Fachgebietes Gartendenkmalpflege in der DDR. Harri Günther war hier, wie viele Zeitzeugen betonen, der Garant für eine überaus hohe fachliche Qualität der Veranstaltungen und Gespräche. 1979 war er Mitbegründer des bis heute bestehenden Arbeitskreises Orangerien, seinerzeit ebenfalls unter dem Dach des Kulturbundes der DDR, zudem prägte er die seit 1953 stattfindenden Dendrologischen Wintertagungen mit. 

Nach dem von ihm ersehnten Fall der Mauer konnte Harri Günther noch zwei Jahre als Gartendirektor mit seinen Mitstreitern die Wunden der Trennlinie heilen, die sich durch die Potsdamer Anlagen zog, ehe er sich 1992 in den Ruhestand begab. Er ist trotz seiner großen Verdienste und Kenntnisse zeitlebens überaus bescheiden geblieben. Die Bitte nach einem Foto verneinte er mir vor Jahren brüsk; er sei schon immer lieber im Hintergrund geblieben. Hohe Auszeichnungen wie der Sckell-Ehrenring oder der Verdienstorden Erster Klasse der Bundesrepublik haben ihn in dieser Haltung nicht verändern können. Er war überaus belesen und kunsthistorisch gebildet; ein Gelehrter, wie sie es heute kaum noch gibt. Er wohnte als Pensionär noch viele Jahre im Gartendirektionsgebäude und war beinahe „täglich wandelnd im Park“ unterwegs, wie er einmal einen Vortrag überschrieb. Seine weise, abwägende, aber auch treffsichere Art wird uns Nachgeborenen fehlen. Harri Günther war ein Gärtner alter Schule, dessen Leben sich am 16. Juni 2023 vollendet hat. 

Dr. Peter Fibich, für den Arbeitskreis Historische Gärten der DGGL