Impression aus der Kunststätte Bossard, 2012. Foto: J. Schnitter
Impression aus der Kunststätte Bossard, 2012. Foto: J. Schnitter

12. Mai 2020 - Die geplante Erweiterung ruht vorerst

Die Kreiszeitung „Nordheide Elbe & Geest Wochenblatt“ berichtet in ihrer letzten Ausgabe von der Entscheidung des Kunststätten-Stiftungsrats, die Erweiterungspläne vorerst zurückzustellen. Der Entscheidung war ein Artikel von Martin Doerry in „Der Spiegel“ vorausgegangen, der die Erweiterungspläne wegen Johann Bossards Antisemitismus und seiner Nähe zum Nationalsozialismus kritisierte.

Doerry widersprach damit von der Kunststätte publizierten Einschätzungen aus dem Jahr 2018, die Bossard lediglich eine anfänglich begrenzte Übereinstimmung mit nationalsozialistischer Ideologie attestiert hatten, später gefolgt von wachsender Reserve und Distanz zum NS-Regime. Doerrys Artikel nun beförderte die Debatte darüber, ob Bossards Weltanschauung es verbiete, seiner Kunst durch einen Erweiterungsbau eine größere Plattform zu finanzieren. Insbesondere die zahlreichen in diese Richtung zielenden Einwände hätten den Stiftungsrat nun bewogen, eine weitere wissenschaftliche Studie zur Rolle Johann Bossards in der Zeit des Nationalsozialismus in Auftrag geben zu wollen. Ob nach Vorliegen dieser Studie an den Erweiterungsplänen festgehalten werden wird, scheint offen.

Die Presseschlacht um Bossard scheint damit vorerst entschieden. Doch auch Erweiterungskritiker, zu denen sich der Landesverband Hamburg/Schleswig-Holstein e.V. der DGGL zählt, haben keinen Anlass zum Jubel. Die geplante Untersuchung ist zwar zu begrüßen, insofern sie zu einem erweiterten Verständnis der Bossards und ihres Gesamtkunstwerks beitragen kann; allerdings wird das Untersuchungsergebnis die Sinnhaftigkeit der geplanten Erweiterung weder bekräftigen noch widerlegen können. Der kulturgeschichtliche Wert der Kunststätte und die denkmalrechtliche Verpflichtung zu ihrer Bewahrung sind nicht proportional zu Bossards Ferne oder Nähe zum Nationalsozialismus. Wertvoll ist die Stätte vor allem in ihrer künstlerischen Komplexität, sei ihr Inhalt nun moralisch vertretbar oder nicht. Bossard bewusst zu simplifizieren, sein Werk als „Nazi-Kunst“ und ihn selbst als „widerlichen Mitläufer“ - Zitate aus der aktuellen Debatte - zu verteufeln, scheint salonfähig zu sein. Solch wohlfeile und pressewirksamen Verkürzungen aber versperren die Sicht auf die Vielschichtigkeit der Verflechtungen mit dem Unrechtsregime, in denen sich die Menschen während der NS-Diktatur befanden. Sie werden darum unserer Verantwortung für eine kritische Auseinandersetzung mit den Phänomenen der Instrumentalisierbarkeit und des Mitläufertums, die auch unserer Gesellschaft nicht fremd sind, nicht im mindesten gerecht. Unsere Verpflichtung könnte im Gegenteil gerade darin bestehen, der ideologisch-künstlerischen Ambivalenz Johann Bossards nachzuspüren, um exemplarisch nachvollziehbarer zu machen, auf welche Weisen extremistische Haltungen Eingang in Kunst und Gesellschaft finden konnten und können.

Es ist an uns, moralische Überheblichkeit abzustreifen, uns vergangener Weltsichten und vergangener Leben in ihrer jeweiligen Komplexität zu stellen und daraus für die Gestaltung unserer Zeit und unserer Leben zu lernen. Kehren wir zurück zu einer sachlichen und fairen Auseinandersetzung um Bossards und ihre Kunststätte.

Für den Landesverband Hamburg/Schleswig-Holstein e.V. der DGGL
Dr. Joachim Schnitter