Betr.: Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der lnnenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weitere Fortentwicklung des Städtebaurechts.

hier: Änderung des Baugesetzbuches, speziell: Änderung § 35.4.4. BauGB

An die
Bundestagsfraktionen
Bundestagsausschuss für Verkehr,
Bauen und Stadtentwicklung

Berlin, den 23.10.2012

Widerspruch

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur (DGGL) setzt sich für die Erhaltung der vorhandenen, den Schutz von bedrohten und die Sanierung von beeinträchtigten Gartendenkmälern und der Kulturlandschaft insgesamt ein. Sie befindet sich bei dieser Zielsetzung in Übereinstimmung mit dem Bundesnaturschutzgesetz und den Denkmalschutzgesetzen der Bundesländer. Die Vereinsziele der DGGL und damit auch ihres Arbeitskreises Historische Gärten sowie des Arbeitskreises Landschaftskultur umfassen besondere Aspekte des Naturschutzes („Erhalt historischer Landschaftsbestandteile" gemäß Bundes-Naturschutzgesetz); daher kann der Verein im Vollzug Europäischen Rechts das Verbandsklagerecht für sich in Anspruch nehmen.

Das Bundeskabinett hat die BauGB-Novelle 2012 beschlossen. Würde diese Änderung rechtskräftig, hätte dies gravierende Folgen für Schutz und Erhaltung der Kulturlandschaft. § 35.4.4 des bisherigen BauGB ermöglicht die Umnutzung von kulturlandschaftsprägenden Gebäuden im Außenbereich, wenn durch die Umnutzung der Gestaltwert des Gebäudes erhalten bleibt. Zielsetzung dieses Artikels ist es also, insbesondere zum Erhalt von historischer Bausubstanz beizutragen, auch wenn das Gebäude nicht unter Denkmalschutz steht. Diese Gebäude sind wichtige Bestandteile unserer Kulturlandschaft.

Durch die Änderung des § 35.4.4 soll die Neuerrichtung eines Gebäudes an Stelle des Erhalts eines erhaltenswürdigen Bauwerks genehmigt werden können, wenn das Gebäude marode ist und wenn der Neubau seiner Wirkung in der Landschaft derjenigen des entfernten früheren Bauwerkes ungefähr entspricht. Gleichzeitig wird aber eine Reihe von baulichen Änderungen zugelassen, welche den Neubau weit von der Erscheinung des Vorgängerbaues abrücken würden. Besonders problematisch ist die vorgesehene Regelung, dass ,,marodeu Altgebäude besonders leicht abgerissen und durch Nachbauten und Imitationen ersetzt werden dürfen. Selbstverständlich ist es jedem Bauwilligen ein Leichtes, sein historisches Gebäude in wenigen Jahren in einen maroden Zustand zu versetzen. Dieser Aspekt des Gesetzesentwurfs bedeutet somit einen Aufruf, Gebäude verfallen zu lassen. Insbesondere für die Nebengebäude ist dies sicher eine ,,lohnendeu Perspektive.

Schon der derzeitige $35.4.4 ermöglicht eine unbegrenzte Anzahl an Wohnungen in den alten umgenutzten Häusern. Dies führt dazu dass, häufig schon jetzt bis zu 6 und mehr Wohnungen auf einer Hofstelle entstehen. Optimierte Neubauten machen große Hofstellen zu Mehrfamilienhäusern.

Die beabsichtigte Änderung des $ 35.4.4 trifft auf erhebliche Bedenken. Sie hätte in der Konsequenz zur Folge, dass erhaltenswürdige Bausubstanz im ländlichen Raum abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden dürfte. Dies ist ein Einbruch in die bislang unangefochtene Regelung und Zielsetzung, dass dem Erhalt von die Kulturlandschaft prägender Bausubstanz stets Vorrang gewährt wurde. Diese „prägenden Gebäude", an denen man die Landschaft, in der man sich befindet, ablesen kann, sollen nunmehr großen Gefahren ausgesetzt werden. Am Ende dieser Entwicklung wird ein großer baulicher „EinheitsbreiU stehen, in dem die Menschen ihre Heimat nicht mehr wiedererkennen können.

Die vorgesehene Regelung zeigt eine erschreckende Unkenntnis fundamentaler Grundsätze historischer Bausubstanz. Wenn ein Bauwerk erhaltenswert ist und also sein Erhalt im Interesse der Allgemeinheit liegt, dann stellt sein Abriss und das Erstellen eines ,,ähnlichen" Bauwerkes eine Geschichtsklitterung dar. Wenn dann noch hinzu kommt, dass der „ErsatzbauM zahlreiche Abweichungen vom Vorgängerbau aufweisen darf, von denen Fenster, Eingänge, Fassaden und anderes ausdrücklich genannt werden, dann kann auch dann nicht mehr von ,,Kulturlandschaftsprägung" die Rede sein, wenn nur die frühere Kubatur ungefähr erhalten bleibt.

Der Gesetzesentwurf gibt keinerlei Hinweise darauf, wie sichergestellt werden soll, dass der neue Ersatzbau wenigstens von weitem eine kulturlandschaftsprägende Funktion ausüben kann. Wenn es sich um eine typische Fachwerk-Landschaft handelt: soll der Neubau ein Fachwerk sein? Gilt dies auch für Naturstein-Häuser? Welcher Naturstein muss es sein? Bekanntlich haben sich landschaftsprägende Bau-Details an den landestypischen Bedingungen ausgebildet, zum Beispiel an der Schneelast mit Steildächern oder Krüppelwalmdächern. Müssen die Ersatzbauten die gleichen Details aufweisen, und zwar auch dann, wenn der Neubau in einer Technik errichtet werden könnte, welche den lokalen Gegebenheiten auch auf andere, moderne Weise trotzen könnte? Fassaden, Raumaufteilungen usw. haben sich durch frühere Wirtschaftsweisen gebildet, z.B. Heuwirtschaft, Holzwirtschaft, Manufakturen usw. Müssen die Ersatzbauten die gleichen Formen aufweisen, auch wenn sich die Bewirtschaftungsart grundlegend geändert hat?

Der Gesetzesentwurf leidet außerdem in hohem Maße an einem allgemeinen Gesetzgebungsmangel: an der Schaffung unbestimmter Rechtsbegriffe. Es wird zu einer Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten darüber kommen, ob ein Altbau abgerissen werden darf, und welche Eigenschaften der Ersatzbau haben muss oder darf. Es ist nicht absehbar, ob die Gerichte konservativ oder großzügig entscheiden werden. Ein einzelnes obergerichtliches Urteil kann den Verlust einer ganzen Kulturlandschaft zur Folge haben.

Hiergegen erhebt die Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur Widerspruch und fordert eine Korrektur des Gesetzesentwurfs dahingehend, dass sichergestellt ist, dass Bauwerke und Gebäude, welche die Landschaft prägen und deren Erhalt daher im öffentlichen Interesse liegt, weiterhin unter dem Schutz der Gesetze stehen.

Ich bitte Sie bei der weiteren parlamentarischen Beratung einer Änderung des 3 35.4.4 in der BauGB-Novelle 2012 nicht zu zustimmen.

Mit freundlichem Gruß
Dr. Klaus-Henning von Krosigk
Präsident der DGGL